Penelope

Szene über ein Gedicht
von Ulla Hahn
PENELOPE AM WEBSTUHL

  I
   
Mann Ich warte
warte warte warte
Penelope ich bin die die wartet
die wartet und webt
Mann webt? was? was webt?
Penelopewartet und webt
wartet und webt

den Faden zwirnt
Mann webt und den Faden zwirnt?
Penelope die Fasern färbt
die Farben des Fadens nach meinem Gesetz
Mann nach welchem Gesetz? nach welchem?
   
Mann ich warte warte warte
Penelope nach meinem Gesetz
die Farben der Klage die Farben der Lust
Mann der Lust? die Farben der Lust?
der Leber der Niere
Penelope der Lust der Liebe
Mannder Leber der Niere des Darms
Penelope der Liebe des Erbarmens der Trauer
Mannder Leber der Niere des Darms
Penelopedes Sonnengeflechts
der Zirbeldrüse
des Neides
des Hasses
Mann der Leber der Niere der Leber der Niere
des Darms des Harns des Darms
des Harns
Penelope des Neides des Hasses
der Raserei und der Demut.
Mann Demut Demut Demut
Raserei
Penelope Die Farben des Menschen
Mann Raserei Raserei
PenelopeMeine Farben
MannRaserei Raserei Raserei
PenelopePenelopes Farben
Mannnach welchem Gesetz?
Penelopein die Oberfläche des Stoffes

Das Muster
  
  II
   
Mann Das Muster
die Fäden
Penelope Das Muster farbiger die Fäden reicher
Mann farbiger? reicher?
Penelope das Reiche fester wie
Mann fester wie fester wie fester wie was?
Penelope wie das Feste weicher das Feste weicher das Feste weicher
Mann das Reiche fester wie weicher das Feste?
was soll
Penelope nichts nichts
Mann was nichts?
Penelope nichts für ein teutsches Kostüm
Mannnichts nichts was nichts für ein teutsches Kostüm?
Penelopewas die Substanz verbirgt der Stoff verhüllt
soll sich im Muster zeigen
als verberge es was es enthüllt
so groß
Mannenthüllt? was? verbirgt? was?
der Stoff? die Substanz? das Muster?
das Muster zeigt was?
Penelope

so groß die Angst DAS MUSTER zu versäumen
so groß die Angst
so groß die Angst DAS MUSTER zu versäumen

ins Leere springen
immer ins Leere
springen
immer
so groß die Angst DAS MUSTER zu versäumen

Mann das Muster das Muster das Muster die Angst
Penelope ins Leere springen immer Männer und
Mann so groß die Angst DAS MUSTER zu versäumen
Penelope

und Frauen
schön wie Frühling und Sommer unter Pflaumenbäumen
Ulmen umwerben erobern umweben winden
den Löwenzahn für ihr Haar

Mann ins Leere springen immer Männer und Frauen und Frauen und
Penelope

warm schon die Luft
grüne Blattspitzen bohren durchs feuchte Erdreich
warm schon die Luft
Vogelruf
trächtige Muttertiere
Saftschächte in den Stämmen der Bäume
Das Sausen des Wassers zwischen Borke und altem Holz

Mannso groß die Angst so groß die Angst so groß die Angst
Penelope

Roter Faden in die Verheißung der Fülle
Nur nicht aufdecken nur nicht aufdecken nur nicht aufdecken
all das Prunken
mit dem was nicht ist

Mann die Angst die Angst die Angst
Penelope noch nicht ist
   
  III
   
Penelope Ich bin die
die wartet und webt.
Mann die wartet und webt die wartet und webt
Penelope webe nicht weil ich warte
verkleidet in Warten webe ich
solange ich webe lebe ich
Weben ohne Taktik Kalkül
Weben blind wie das Leben
Mannblind dein Weben blind dein Warten blind dein Leben
blind blind blind
Penelopeblind wie das Leben im Frühling
und immer auf der Jagd nach dem
was ich noch nicht webte
Mannblind blind blind dein Leben
Penelope immer größer die Gier
nach dem Nicht-Gewebten
je mehr ich schon webte
Mann blind blind blind dein Warten
Penelope Und jedes Weben ist Vernichtung
Vernichtung des Nicht-Gewebten
Mann blind blind blind dein Weben
   
  IV
  
 Darum
darf kein Fertiges sein
kein Telos kein Endzweck keine Vollendung
Daher
ich jede Nacht das Gewebte
mache wieder nicht gewebt
Hörte mein Weben auf
Penelope wäre nicht mehr
Nicht Anteil habe ich an dem Gewebten
Ich bin Seinteil
Und während ich es webe webt es mich
Macht’ ich es fertig
Macht’ es fertig mich
Darum
aufreißen alles
mein Ich aufreißen zerpflücken zerfasern
und neu zusammenzwirnen
immer wieder neu
Und jede Nacht die Stimme die mir sagt
Verzweifle nicht du wirst es
schließlich finden: DAS MUSTER
farbiger die Fäden reicher
Und die Vollendung auf den Knien
vor der Muse der Zerstörung.
   
  Die Hirtin zu Penelope
   
 

War eine Zeit da hüpften die Wörter wie Lämmlein ins Haus wie auf grüne Weide lachend und scherzend auf ihrer Reise durch Nacht und Sterne ans Messer – ich Hirtin sie lässig zu drehn und zu wenden und wieder hinaus zu Spiel und Braus und in hübschen Paketchen in Strophen wien Stückchen Schokolade zartbitter mit Nüssen und Mandeln voll Milch schleckte man sie als Nachtisch zum Leben

Dann kam der Trott. Sie kamen in Scharen im mittleren Alter süchtig nach ihrer Versklavung was sie für Verewigung hielten Schlachtschafe mit schwerem Tritt und Gehirn. Dann wurde das Wasser knapp Seuchen untergruben ihre Moral

Eine Zeitlang blieben sie fort. Jetzt kommen sie wieder schleppernd umkreisen mich suchen in Fußnoten Unterstand scheinen genügsam und scheu. Locken lassen sie sich wie verlorene Söhne aber struppig und grau unterm Pelz witternde Rudel verhaltenes Geheul Zähne Wolken zu reißen

   
  V
  
PenelopeManche lassen sich hören:
Komm hinunter.
Mann Komm hinunter. Längst
gibt es Gewebe genug. Komm hinaus
Iß und trink mit uns, Frau,
laß uns Sch
Penelope Tun besorgt mir die Mühen abzustreifen
von den müdgewebten Armen
Andre schmeicheln mir: Laß uns Schöne
Dein Schöngesticheltes
Mann Laß uns Schöne
dein Schöngesticheltes sehn
rotes Kitzelgewebe verliebter Versesfuß
Distelkuß Erdenkugelgewebe
Penelope Distelkuß Erdenkugelgewebe
Nein sag ich kein neues Gewebe
Ich sorge mich nicht um
mein neues Gewebe. Aber
Weben will ich. Weben muß ich. Weben
All die Fäden in mir mit ihren
Schatten Flecken Schlacken
All die Fußstapfen Kohle- und Kreidespuren
Stadtpläne Kindergesichter
aus nächster Nähe Hyänen und Hypothesen
aus lebendigem Perlmutter Scherbenschnitte
Weben. Weben bis es nicht mehr weh tut
Und nicht mehr die Erinnerung daran. Weben.
Den Knebel lösen in Muster
voller Schnäbel mit Gesang
  
  VI
  
Mann Und wenn er nun käme?
Er diese himmelblaue Chimäre
dieses Blaue vom Himmel herunter
erzählte Gespenst?
Penelope dieses Blaue vom Himmel herunter
erzählte Gespenst?
Mann Um dessentwillen
Penelope Um dessentwillen
ich die bin
die wartet und webt
wie alle Welt glaubt
MannUnd wenn er nun käme
wie alle Welt glaubt
PenelopeWie ich mich fürchtete
vor seiner Wiederkehr
dem Feuerkleid seiner Hände
Vor seinem Mund auf meinem Puls
seiner Liebeskranken Nacktheit
Nicht länger wäre ich die
die wartet und webt
Nur noch Seinweib
Und tot Penelope
die Weberin
  
  VII
   
Mann Und wenn er nun käme?
Er diese himmelblaue Chimäre
dieses Blaue vom Himmel herunter
erzählte Gespenst?
Penelope Er kommt er kommt
Mag sein wie eine Hand
in meinem Haar so zärtlich unverhofft
Er kommt er kommt
Mag sein wenn meine Fäden aufgezehrt
mein Muster nur noch
Stückwerk Schemen Mumientuch
brautfarben endlich leichenfarben
narbenweiß
Er kommt
Bis dahin aber
mein Schiffchen frei über Kette und Schuß
  
 
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