|
|
Hilferufe (2020) |
Davon handelt Peter Handeks Sprechstück Hilferufe aus dem Jahre 1967:
Der öffentliche Sprachakt verwandelt Sprechen in Gerede, Empfehlungen in Verordnungen und Ratschläge in
Befehle.
Das Verborgene verliert seine Unschuld. Das Geheimnis wird zum Verrat. Und das Wissen gerinnt zur
Information.
Die sich der Macht andienende Dichtung verrät die Poesie.
Es ist die Lüge, die im Kostüm der Wahrheit die Bühne betreten hat.
Und davon handelt die Komposition Hilferufe aus dem Jahre 2020:
Das Instrumentarium der Schlaginstrumente war von jeher das Einfallstor der Macht ins Innere der Musik.
Die Trommeln der Landsknechte schlugen zum Tanz der Bauern den Takt. Die Pauken der königlichen Reiterei
sorgten in Kirche und fürstlichem Festsaal für festliche Stimmung. Die kriegerischen Janitscharen
lieferten weiteres Material: Becken und Schellen. Naturalismus und Exotismus bereicherten das
Instrumentarium um Amboss und Gong, Glocken und Rasseln.
Als schließlich die Emanzipation des Geräuschs den Apparat des Schlagwerks anschwellen ließ, gab es kein
Halten mehr: Der Lärm des Alltags, der Umwelt, der Technik und der Industrie orchestriert und beflügelt
die musikalischen Gedankenflüge.
Das Musikalische – einmal in den Sog der Idee des Fortschritts geraten – wurde in der Moderne insgesamt
zum Material: geprüft, vermessen, erweitert, amalgamiert, kondensiert und plattgewalzt. Und jetzt ist
das Ding auch noch global:
performed, recorded, digitalisiert und endlich auch gestreamt.
Die Musik, seit langem schon ins Joch der Marktgesetze gespannt, giert immer verzweifelter nach
Aufmerksamkeit. Doch die kostet Zeit. Und Zeit, unsere kostbarste Ressource, wird inzwischen mit Gold
aufgewogen.
Es ist das Elend der Musik unserer Zeit, dass ihr nur übrig bleibt das Elend unserer Zeit zu
spiegeln.
Der im Ausdruck vielfältigen und immer extrovertierten Stimme (aufgeteilt oder solistisch, weiblich oder
männlich) ist ein singendes Instrument gegenüber gestellt. Während die Stimme bloß redet, spricht das
Instrument – für sich, nebenher, beiseite, privat. Die Stimme weiß gar nicht, was sie mit jedem Wort
verrät. Sie selbst weiß nichts von ihrer sprachlichen Hilflosigkeit. Dagegen wird im instrumentalen
Melos der Viola die innere, die eigentlich menschliche Stimme hörbar. Und die weiß Bescheid. Sie weiß
und spricht es aus: Der Mensch bedarf der Hilfe.
Wolfgang Florey
|