Sieben Steine (1994/2002)

von Friedrich Danielis
Der Maler Friedrich Danielis veröffentlichte aus Anlaß einer Ausstellung seiner Werke im Jahre 1995 ein sorgfältig gestaltetes Buch mit dem Titel „Das große Glück“. In ihm waren nicht nur Reproduktionen seiner Bilder,  Zeichnungen, Gouachen und Temperabilder versammelt, sondern zum ersten Mal auch eigene Texte. Es handelte sich um literarische Miniaturen, die Auskunft über die persönlich privaten Kunstansichten des Malers geben sollten, aber gleichzeitig, über die Funktion des aktuellen Anlasses weit  hinaus, Grundsätzliches über die Moralität künstlerischer Arbeit preisgaben. Mein Wunsch, diese Texte musikalisch zu gestalten, gründete nicht nur auf meiner freundschaftlichen Verbundenheit mit Friedrich Danielis, sondern ist vor allem dem Bedürfnis geschuldet, meiner  Übereinstimmung mit den hier geäußerten Anschauungen Ausdruck zu geben. Die „Sieben Steine“ wollen die Aufmerksamkeit lenken auf die Bedeutung des Schönen und Phantastischen für die Sinnhaftigkeit des menschlichen Lebens. Der kleine Liedzyklus möchte  die Einsicht fördern, daß Lebensbejahung und Menschenliebe kategorisch das menschliche Denken und Handeln, und in besonderer Weise das Künsteschaffen, zu bestimmen hätten.

„Sieben Steine“ wurden im Jahre 2002 in Venedig uraufgeführt durch Saida Bar-Lev, Violine, Susan Salm, Violoncello, Burkhard Kehring, Klavier,  und Ute Döring, Sopran.


Sieben Steine
von Friedrich Danielis

Denkstein

In einer schwimmenden Laubhütte, auf einem Lastkahn eingerichtet und mit Lampions geschmückt,  ergeben sich festverliebte  Menschen essend, trinkend und einander zugetan in Erwartung des großen Ereignisses – ergeben sie sich einigen Freuden der Nacht. Drei Kanonenschläge – und das Feuerwerk der notte famosissima beginnt. Pfauchend, zischend, krachend, heulend oder mit wildem Pfeifen jagen die Raketen in den Himmel, in tausend Lichtern, Spiralen, glühenden Kugeln und funkelnden Sternen zerbirst, was kunstvoll zusammengefügt wurde, und das vielfältige Licht der Phantasie erleuchtet die dunkle Welt.
Wer will, der sieht und fühlt und trinkt in sich die Zeichen der Verwandlung -  für  eine  Nacht  nimmt  niemand  wunder,  was Wunderbares ist im Menschenwerk. 


Grundstein

Der merkwürdige Schock, das Zweifeln am Bild im Spiegel, das Unbehagen, das jeden –außer Narziß- beim Anblick dessen befällt, was wir widerwillig als unser Ebenbild anzunehmen gelernt haben, veranlaßt zu mancherlei kreativen Reaktionen. Grimassen schneiden, bis Lachen den Schock gelöst hat, ist noch die einfachste, die einfachste Reaktion.
Mancher schreitet zur Veränderung. Da wird hingemalt und weggezaubert, die Lust zur Verwandlung, ja zum Anderssein führt zu bizarren Ergebnissen: daß der schöne Schein, der schöne Schein und die Schönheit nicht unbedingt miteinander zu tun haben, wird sichtbar. Nur meine Katze, schlauer als unsereins, nur meine Katze wollte, oder konnte sich im Spiegel nicht sehen und nicht erkennen.  In diesem Bereich hat mein Unwille, etwas abzubilden, seinen Ursprung: man müßte wenigstens durch diesen Spiegel hindurch, jenseits von Bild und Gegenbild ließe sich ein Reich der Freiheit, der Phantasie aufrichten, damit, im Lichte unserer Welt, noch Unsichtbares Gestalt annimmt, und ist, und bleibt. Als Kunst.


Wetzstein

Mancher Zyniker der Künste hat die Flexibilität eines Galgenstricks, dreht und wendet sich im Winde, und wen er einmal hat, den lässt er nicht entkommen, und wen er, und wen er einmal hat, den lässt er nicht entkommen, nicht entkommen! Zwischen falschen Mythen und echtem Geld wird von ihm angesiedelt und abgestützt, was den Sinnen ohne solche Hilfe nichts, nichts – oder nur Schauerliches geben kann. Zweifel an der Redlichkeit dieses Umgangs mit dem Metier führen mit schöner Sicherheit zu der Überlegung, dass solche Lieblosigkeit und die dazugehörende Menschenverachtung Ursachen für das Elend unserer Ästhetik sind; denn die Liebe ist eine ästhetische Kategorie, denke ich - daran scheiden sich die Geister.


Flugstein

Geübten Kinderhänden gelingt es, flache Kiesel so über das Wasser zu schnellen, dass sie wiederholt lustig übers Wasser hüpfen, aufsetzend, weiterflitzend, bis sie ihr eigenes Gewicht eingeholt hat. So könnte doch eine wirklich kräftige Vorstellung, mit sicherer Genauigkeit abgeschnellt, sich auch von der Welt abheben, sie neuerlich berührend weiterfliegen, bis sie –der Mensch ist schwach- endlich niedersinkt. Die heitere Strecke, das Abheben im sprühenden Licht – da wird das  Sprachbild  zum  Bild.    Das Gedankenspiel holt  seinen Sinn ein.


Versteinerung

Die Kristallbildung um wichtige Gefühle und Erinnerungen setzt früh an. Manche lichtvolle Einsicht der Kindertage wird so zum schönen Solitär, dessen Funkeln verführerisch wirkt. Auch um den Hohlraum unerfüllter Sehnsüchte entsteht ein festes und vielschichtiges Gebilde dessen pittoreske Formen aufmerken lassen.
Doppelt bedeutsam wird dann die Einsicht, daß die Kunst, wie das Leben, auf ständige Veränderung zielt, und es gilt, auf den schnellen, hellen Wassern der Phantasie sorgfältig zwischen romantischen Ruinen und der drohende Salzsäule hinzusteuern.


Prüfstein

Die Vorstellung, die schwerelose Festigkeit des unaussprechlich schönen Gefüges, das als Freskenzyklus von der Legende des heiligen Kreuzes in Arezzo triumphal am Anfang einer neuen europäischen Malerei steht, diese schwerelose Festigkeit hätte wenig mit der erzählten Geschichte des wunderbaren Holzes, aber viel mit dem Genius seines Malers zu tun, steht am Anfang einer lebenslangen Beschäftigung mit der Kunst der Alten.
Das kühle Feuer der von innen leuchtenden Farbigkeit (omnilucentia) leuchtet ein, Piero de la Francesca’s nur dem eigenen Gesetz folgende Schöpfung aus Schönheit und Erfindungsgabe wird zum Prüfstein für die eigene, die ihr ja ebenbürtig sein soll, nicht mehr, nicht weniger  - ist sie doch aus einem Kopf, also hochgeboren ....


Richtstein

Unglück säen die giftigen Reden von Rasse, Stand und Glaube: sie sollen uns gegeneinander stellen. Aber selbst der Endgültiges wirkende Tod kann die unfreiwillige  Gemeinschaft von Moribunden, als die ich die kräftig sich regende Menge der Menschen begreife, selbst er kann sie nicht trennen; will er, wollen wir,
oder nicht   –  er hat uns vereint.



    zurück