Summus finis (2010)
In der mittelalterlichen Scholastik meinte summus finis, daß sich im Ende seines irdischen Lebens dem Menschen sein höchstes Ziel im Tode erfülle, wobei dem mittelalterlich religiösen Menschen der Tod gleichbedeutend war mit seinem Aufgehen in einer Einheit mit dem Göttlichen. Der moderne, säkulare Mensch darf sich diese beiden Worte summus finis hingegen getrost deuten als den Punkt, in dem alles Seiende dem Menschen sich endlich ins Nichtsein löst.
Im Zentrum des Stückes stehen nur zwei Töne. Das H und das C. Und oberflächlich betrachtet könnte man sagen, dass alle anderen erklingenden Töne keine andere Funktion haben, als immer wieder hinzuführen zu den beiden Protagonisten H und C.
Aus einer Musikauffassung, die zur Zeit der Renaissance versucht hat, antike Vorstellungen wieder zu beleben, stammt die Idee einer Zuordnung von Tonhöhen mit lebensbestimmenden Affekten und schicksalhafter Bestimmung menschlichen Seins. Die Konstellation der Planeten, ihre scheinbar ewig gültigen Bewegungsgesetze prägten die grammatikalischen Elemente der Welt der Töne. Ebenso, wie man sich leiten ließ von der Vorstellung, dass man aus dem Stand der Gestirne das menschliche Schicksal lesen könne, war man davon überzeugt, dass die Bewegung der Töne und ihre wechselnd harmonischen Fügungen den Menschen ergreifen, ihn leiten und bilden könnten. So wurden im Verlaufe der weiteren Musikgeschichte Töne mit symbolhafter Bedeutung aufgeladen. Das H ist, noch einmal bestätigt durch Alban Bergs Werk, zum Todeston geworden, während man vom C sagen kann, dass es in seiner positiven Deutung das sieghafte Leben, oder, in seiner negativen Wendung, das tragische bezeichnet.
Nach dem schmerzhaft dissonanten Riss, mit dem das Stück anhebt, hört man im Klavierdiskant eine ferne Totenglocke während der absteigende Melos des Violoncello in ein, das Tragische bedeutende, c-moll führt. Nicht zufällig im 12. Takt erklingt in der tiefsten Lage beider Instrumente zum ersten Mal das H. Viermal wird es in dieser Lage erklingen, viermal, wie die Schläge einer unendlich groß gedachten Lebensuhr, die den Schlag der vollen Stunde ankündigen. Was den Hörer erwartet, ist das, was man umgangssprachlich einen harten Schlag nennt. Ein barbarischer Akt, der das Tasteninstrument Verstummen macht und es verwandelt in ein Perkussionsinstrument.
Analog zu dem sich diametral entgegengesetzten Tönen H und C stehen sich auch zwei polare Ausdrucksparameter gegenüber: ausdruckslose Mechanik und ein melodisches un poco espressivo, das aber niemals Gelegenheit hat, sich frei zu entfalten.
Wenn es um die letzten Dinge geht, wer findet da das angemessene Wort, den richtigen Ton? Jede originelle kompositorische Erfindung verbietet sich im Angesicht des Todes. Der Klang einer Glasharfe, hier in Gestalt zweier gestimmter Gläser, bildet auf dem Grundton H eine Bordunquinte, und darüber erklingt eine modale Weise in phrygischer Tonart, wie ein Gruß aus einer entlegenen Zeit und Welt. Am Schluss bilden die gegeneinandergesetzten Töne H und C, die sich eigentlich schmerzhaft dissonant zueinander verhaltenden müssten, es aber merkwürdigerweise nicht tun, eine bewusste Einheit. Dies möchte ein musikalisches Bild dafür sein, dass der Gegensatz zwischen Leben und Tod sich in Harmonie aufzulösen vermag.
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