Kinderkantate (2017)

über Luthers Choral
Ein feste Burg ist unser Gott
Die von vier Kindern zwischen den einzelnen Sätzen gesprochene Zwischentexte

A In der sonst eher katholischen Stadt Salzburg,
da hat es früher einmal auch eine kleine Evangelische Schule gegeben.
B Diese Schule war am Ufer der Salzach gelegen und nahe einer Brücke.
C Das war eine wichtige, eine Eisenbahn-Brücke.
D Außerdem war es nicht weit zum Bahnhof.
A Dann ist der Krieg gekommen.

A Es war also Krieg, aber es war eigentlich noch so wie immer:
B Die Mutter hat gekocht wie immer,
C Die meine hat gewaschen und geputzt wie immer
D Und meine Mutter sitzt und schreibt.
A Was schreibt sie denn?
D Einen Brief schreibt sie.
C An wen denn?
D An den Vater.

A Wo ist denn Dein Vater?
D ​Im Feld.
B Warum? Ist denn Dein Vater Bauer?
D ​Nein, Soldat ist er.
​Und Deiner? Was ist der?
A Auch Soldat.
C Und Deiner?
B Meiner auch.
A Und Deiner?
C Auch.

A Es war also Krieg, der Zweite Weltkrieg.
B Erst war der Krieg noch weit weg.
C ​Dann ist er näher und näher gekommen.
D Und immer öfter haben die Alarm-Sirenen geheult.
A Doch die Bombenflugzeuge sind immer über die Stadt geflogen und dann weiter und woandershin.
B Sie haben andre Ziele gehabt, – weiter entfernte und wichtigere Ziele.
C Wenn die Sirenen geheult haben, dann hat das bald niemanden mehr interessiert.
D Alles ist einfach ganz normal weiter gegangen – auch der Unterricht in der Schule.
A Aber einmal, da sind die Bomber nicht nur über die Stadt hinweg und weiter geflogen, sondern –

A Hört Ihr das?
B Das komische Geräusch?
C Was kann das sein?
D Das hört sich an wie –
A Und dort am Himmel?
B Wo es so hell glitzert?
C Das sind keine Vögel!
D Die schauen anders aus!
A Flieger sind das, Flieger!
B Große Flieger – Bombenflieger!
C ​Sind voller Bomben!
D Die werfen sie gleich ab und dann und dann?!

A Wo ist denn der Herr Zebaoth?
B Wo ist denn jetzt Herr Jesus Christ?
C Und wo die feste Burg?
D Und Wehr und Waffen?
Alle Alle ​Wo? Wo?? Wo??? (gleichzeitig)
A Wir sind so jung!
B ​Lasst uns in Frieden!
C Wir haben Euch doch nichts getan!
D ​Lasst uns am Leben!

A Am 16. Oktober 1944 sind die Bombenflugzeuge nicht woandershin.
B ​Sie haben den Befehl gehabt, die Eisenbahn-Brücke und den Bahnhof zu zerstören.
C Die Bomben haben ihr Ziel aber verfehlt und es sind viele Wohnhäuser zerstört worden.
D Und eine Bombe hat die kleine Evangelische Schule getroffen.

A Bei dem Angriff hat es viele Tote gegeben.
B Es waren zweihundertfünfundvierzig.
C Und viele Kinder waren darunter.
D ​Darunter auch Schüler der kleinen Evangelischen Schule.
A Das war am 16. Oktober 1944.

Aus einem Brief an die an der Aufführung beteiligten Schülerinnen und Schüler

Jeder hat ja seine eigenen Vorstellungen von Musik, jeder hat seine eigenen musikalischen Vorlieben. Und sich mit einem Musikstück abzuplagen, das man erst einmal gar nicht kennt, das erst im Verlauf von vielen Proben langsam zum Vorschein kommt, das ist eine große Herausforderung.
Manche von Euch werden sich gefragt haben, was das alles soll.
Nicht alle Fragen lassen sich schnell und einfach beantworten.
Aber ich will Euch doch noch einmal kurz sagen, worum es mir in dem Stück geht, was ich – mit Eurer Hilfe – sagen will.
Ihr habt es ja schon bemerkt, dass in den kurzen Texten, die zwischen den einzelnen musikalischen Abschnitten gesprochen werden, vom 2. Weltkrieg die Rede ist. Es wird erzählt von einem Luftangriff auf die Stadt Salzburg bei dem Schüler der Evangelischen Schule dieser Stadt getötet worden sind.
Für Euch ist das eine Geschichte, die sich in einer ziemlich fernen Vergangenheit abgespielt hat, die sich etwa in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ereignet hat. Und es ist eine Geschichte, die sich in einer Stadt ereignet hat, die auch ziemlich weit weg ist und wo bestimmt nur ganz wenige von Euch schon einmal gewesen sind.
Was also soll das Ganze?
Ich will versuchen das ganz kurz zu erklären:
Ich habe diese Geschichte aufgeschrieben, weil sie mich, als ich so alt war wie Ihr jetzt seid, weil mich diese Geschichte als Jugendlicher sehr beschäftigt hat. Als Kind habe ich in meiner Heimatstadt Salzburg in den Ruinen der von den Bomben zerstörten Häuser gespielt. Ihr könnt Euch denken, dass das ein wenig aufregender und spannender war, als mancher künstlich angelegte Abenteuerspielplatz. Aber später, als ich schließlich begriffen habe, dass dort Menschen ihr Leben verloren haben, hat mich das doch nachdenklich gemacht. Und mir ist langsam klar geworden, dass, wäre ich nur ein paar Jahre eher zur Welt gekommen, auch ich bei diesem Bombenangriff ums Leben gekommen wäre. Denn ich wäre ganz sicher ein Schüler dieser Evangelischen Schule gewesen.
Als ich nun darüber nachgedacht habe, was für ein Stück ich für Euch machen könnte, ist mir eben diese Geschichte in den Sinn gekommen.
Ich habe daran gedacht, dass diese Schulkinder ganz bestimmt dieses wahrscheinlich bekannteste evangelische Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ gekannt haben. Dieses Lied, das Luther für seine Gemeinde gedichtet und dazu auch die passende Melodie erfunden hat, kennt eigentlich so gut wie jeder evangelische Christ. Den Text hat Luther nicht erfunden, sondern er hat nur einen Psalm des Alten Testaments ins Deutsche übersetzt und ihn in eine dichterische Form gebracht. Dieser Psalm war schon bei den alten Hebräern nicht einfach ein Gebetstext, sondern ein Kampflied. Und auch Luthers Nachdichtung wurde zu einem Kampflied. Erst ein Kampflied in der Zeit der Bauernkriege, dann ein Kampflied der Evangelischen im Dreißigjährigen Krieg und schließlich wurde dieses Lied in der Geschichte des Neunzehnten und Zwanzigsten Jahrhunderts zu einem Kampflied der deutschen Soldaten. Dieses Lied hat sich also im Verlauf der Geschichte in ein Soldatenlied verwandelt. Als Kirchenlied, so scheint es mir, hat es so seine Unschuld verloren. Und das muss ich einfach sagen: ich finde, dass Kriege eine schlimme Plage sind. Sie sind keine Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen oder ein großer Brand. Kriege werden von Menschen gemacht und sind durch Menschen verursacht. Und weil ich Kriege wirklich schlimm finde, bin ich auch kein Freund von Kriegsliedern. Und dieses Lied von Luther hat leider eine lange Geschichte als Kriegslied. Und das, so finde ich, fordert uns alle auf darüber nachzudenken.
Und genau das wollte ich mit der Komposition, die ich für Euch gemacht habe, erreichen.

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