Intermezzo (2017)

Über das Intermezzo für Kammerorchester
Die Komposition sollte, so war einmal der Plan, nach Arnold Schönbergs Kammersymphonie op.9 und vor Karl Amadeus Hartmanns Concerto funebre erklingen. Die Bläserbesetzung des Intermezzo bezieht sich deshalb auf Schönberg, die chorische Besetzung der Streicher auf Hartmann. Aber das sind natürlich längst nicht die einzigen Bezugspunkte. Die kompositorisch motivische Arbeit und die Umdeutung horizontaler Tonfolgen zu vertikal harmonischen Strukturen gründen auf den Überlegungen Schönbergs. Der historische Bezug durch das konkrete Zitat folgt dagegen, ebenso wie die Leitidee eines imaginären Epitaphs, dem Beispiel des Violinkonzerts. In diesem Sinn ist der Komposition ein Lied des großen jiddischen Lyrikers Mordechaj Gebirtig vorangestellt und eingeschrieben, der 1942 im Ghetto von Krakau ermordet wurde.
Der Stücktitel bezeichnet aber nicht nur seine Funktion als programmatischer Mittler zweier musikalischer Werke. Intermezzo bezieht sich in erster Linie auf den 2012 erschienenen Roman „Aller Tage Abend“ von Jenny Erpenbeck. In ihm wird eine Frauenbiographie erzählt, die verwoben ist mit der österreichischen und deutschen Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Die politischen Umwälzungen dieser Zeit spiegeln sich in den gewaltsamen Brüchen der Lebenslinie der Protagonistin. An diesen Bruchstellen hält die Autorin für einen Augenblick die Zeit an, kehrt ihren Verlauf um und setzt danach - im Verlauf des Buches viermal - die Erzählung mit einem mit Intermezzo überschriebenem Kapitel auf eine gänzlich neue Spur.
In diesen Momenten zeitlicher Irregularität ereignet sich eine Metempsychose eigener Art: Ein zu Ende gekommenes Leben erlebt dabei nicht spukhaft in einem anderen, neuen Leben seine Wiedergeburt, sondern es ist immer dasselbe Leben in dem sich dieses Wunder ereignet. Die Kontinuität des geschilderten individuellen Lebensverlaufs erweist sich dabei als ebenso fragil wie seine gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.
Mit der Umkehr der Zeit für Minuten, Stunden oder Tage gelingt in diesen Intermezzi nicht nur Geschehenes ungeschehen zu machen und Ungeschehenes geschehen zu lassen. Was hier als narrativer Kunstgriff nur ein Gedankenspiel zu sein scheint, das trifft im Ganzen den Kern alles Erzählens und ist zugleich die Triebfeder unsres Träumens.
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