Von der Unvernunft
der Gefühle


Bemerkungen zur Musik
zu„Der Traum ein Leben“
von Franz Grillparzer
Grillparzer war ein scharfzüngiger Kritiker der musikalischen Romantik. Geprägt von jener Epoche, die wir heute die Klassische nennen, war ihm der musikalische Gedanke wichtiger, als sein klangliches Sentiment. Daß Musik ein rein gedankliches Spiel sei, nimmt eigentlich das Projekt der immer noch als modern und ungewohnt empfundenen Musik unseres zur Neige gehenden Jahrhunderts vorweg. Unwillkürlich denkt man an Schönberg und seinen Verein für musikalische Privataufführungen, oder an Th. W. Adorno, der das bloße Schriftbild der Partitur als das künstlerisch Eigentliche der Musik behauptet hatte. Wenn man jedoch Grillparzers musikalische Szenenanweisungen in Betracht zieht, -und der Komponist, der diese zu befolgen beauftragt ist, tut gut daran-  sieht man, daß der Dichter sich von der Musik doch so manches wünscht, was Grillparzer als kritischer Denker abzulehnen geneigt war: leise Lieder ziehen hier durchs Gemüt, entführen in die Welt des Traums und imaginieren Transzendenz mit durchaus sinnlich reizenden Tönen.
Wer einmal „Der Traum ein Leben“  gelesen oder gesehen hat, wird es als Schauspiel von eher monumentalen Ausmaßen erinnern. Volksfeste und Schlachten, höfische Interieures und weite Landschaften werden vor seinem geistigen Auge erscheinen, und, in’s Musikalische übersetzt, natürlich die Partitur einer großen Symphonie. Tatsächlich aber ist das Stück, wenn man sich die geringe Zahl seiner Protagonisten vergegenwärtigt, ein Kammerspiel.
Deshalb hat sich der Komponist auf die instrumentale Besetzung eines Streichquartetts besonnen, weil dieses ihm den treffendsten Ausdruck der tatsächlichen Intimität der geschilderten Konflikte ermöglicht. Zudem auch deshalb, weil das Streichquartett der musikalische Repräsentant der Epoche des Biedermeiers war und damit jener Zeit, die ja nolens volens das Werk reflektiert.
Erschöpfte sich die Funktion der Musik in bloßer Stimmungsmalerei, so hätte sie ihr Ziel aber weit verfehlt. Denn ihre Aufgabe ist es, bei aller Abhängigkeit von den theatralischen Erfordernissen, innere Zustände nicht einfach nur zu schildern, sondern diese glaubhaft erst hervorzurufen. Denn es ist die Musik, die die Träume überhaupt erst wach werden läßt, die Ungesehenes dem Bewußtsein sichtbar macht und Bilder fremder Landschaften imaginiert.Die musikalisch-motivische Arbeit knüpft nicht an ein leitmotivisches Verfahren an, sondern ordnet verschiedene musikalische Sprachebenen den unterschiedlichen Handlungsebenen zu. Modale musikalische Wendungen bezeichnen die fremde märchenhafte Welt von Samarkand, seine Verheißung und seinen Fluch. Eine eher romantisch gefärbte Tonsprache will die Gefühle der Menschen in Bewegung setzen, die sich im Traumgewirr sogleich verheddern. Ferner Hörnerklang, das Heer in Aufruhr, Lärm von Schlachten und all das, was filmmusikalisch Orchestrales denken läßt, ist hier auf’s Kammermusikalische konzentriert, macht den Zuschauer unversehens zum Zuhörer und nötigt ihn, absichtsvoll das einzusetzen, was den Anfang und das Ende all unserer gemeinsamen künstlerischen Bemühung ist: die Phantasie.



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