In Feuer getaucht I (2003)

Mnemosyne-Skizze V

szenische Kantate über eine
Dichtung von
Friedrich Hölderlin
In Feuer getaucht I (2003)
Mnemosyne-Skizze V
szenische Kantate über eine Dichtung von Friedrich Hölderlin
unter Verwendung von Texten Hesiod’s, Vergil’s, dem Carmen Erithraeum,
Wandinschriften aus dem Kölner EL-DE-Haus, sowie Zeugnissen schizophrener Patienten.
für zwölf Schauspieler und eine Sängerin, präparierte Klaviere und Schlagwerk.

Die Personen:
Der vielgestaltige H.: I, II, III, IV, V;
Die sieben Mädels
Eine Sängerin
UA am 13. Juni 2003 in St. Maria in Lyskirchen, Köln
(abendfüllend 95’)

Schauplatz und Geschichte:
1812. Hölderlin im Turm: aus der Authenriet’schen Anstalt, jedoch der Pflege bedürftig, entlassen, lebt er schon das fünfte Jahr in Obhut der Familie des Schreinermeisters Zimmer, weggeschlossen von dem, was man die Welt nennt. Er gilt als harmlos und ungefährlich, doch immer wieder verfällt er in Zustände wilder Raserei.
Ihn quälenHalluzinationen. Wirkliches und Geträumtes, Erdachtes und Erfundenes,
Ersehntes und Erlittenes gehen in der reißenden Flut visionärer Gedanken und Bildern wild durcheinander. Was er fühlt und schaut kann er nicht mehr, wie früher, zur Sprache bringen. Sein Bewußtsein ist nicht mehr eins mit seinem Selbst. Wer er war und wer er ist, ist ihm durch keinen Sinn verbunden. Das „ich“ ist ihm gespalten in eine unbestimmte Mehrzahl: das eine übertrieben höflich, das andre auffahrend und stolz; eines ist sprachlos und redet nur in Tönen, wieder ein anderes spricht in einer fremden, unbekannten Sprache, die es Paklasch nennt; eines schließlich reimt in alter Manier und nennt sich Scardanelli, Buonarotti, oder Kallilusameno.
1944/45. Im Keller des Kölner El-De-Hauses, das der Gestapo als Gefängnis diente, sind Frauen und Männer auf engstem Raum in winzigen Zelle zusammengepfercht.
Zwangsarbeiter verschiedenster Nationalitäten, die, wegen geringfügiger Delikte, oder auf Grund bloßer Denunziation verhaftet, hier kaum etwas anderes zu erwarten haben, als den Tod. In die Mauern ihres Kerkers kerben sie die Tage ihrer Haftzeit, schneiden Worte der Verzweiflung und Zeichen ihres Widerstandes in den Kalk und schreiben Nachrichten und Briefe für geliebte Menschen an die Wände.

Pressestimmen:
----- Der Komponist und Regisseur Wolfgang Florey hat diesen Moment zwischen Wahn und Sinn einzufangen versucht mit dem Mittel, das Hölderlins rhythmisch-kryprischer Sprache am nächsten kommt: Musik. Musik als archaische Klanglandschaft, als experimentelles Requiem.
Und Florey hat für seine Inszenierung „Mnemosyne – In Feuer getaucht“ mit der
ährigen Kirche St. Maria in Lyskirchen einen Aufführungsort gefunden, der den Versen des Dichters Raum gibt. Da schlagen die zwölf Schauspielschüler der Kellerschmiede auf Pianos und Pauken, singen, schreien, fallen zuckend zu Boden und von einer Szene in die andere. Tontheater ist das, rasant, laut und spannend wie eine Achterbahn. Hölderlin’s Schmerz über das Unsagbare ist, das will Florey zeigen, ein visionärer Schmerz. Er findet sich an den Wandinschriften des Gestapo-Kellers im Kölner EL-DE Haus, er hallt wider in den Bombenhageln des Kriegsterrors oder in den Texten schizophrener Patienten.
---- Dies gelingt vielleicht am schönsten gegen Ende, wenn die Sopranistin Ute Döring die verstörte und heimatlose Seele gesanglich so ruhig bei der Hand nimmt wie in einem Schubert’schen Wiegenlied: Alles ist gut. Nicht alles freilich, doch weitaus genug, um sagen zu können: Diese Aufführung ist ein Erlebnis.

(Kölner Stadt-Anzeiger 17. 6. 2003 - Arndt Kremer)
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