Dispersi in mare
Fa che si alzi ancora e si distenda
Questa paura, e sia cerchio di suoni
Che sia l’acqua del mare clandestina
Che si dispieghi, che sia la sentina,
Che si raccolga in gorghi, che si aggrumi
Fa che questa paura non perdoni
Che si avvolga alle fibre e le consumi
Che si iscriva nell’acqua che si imprima
Fanne marchio alle onde sulla schiuma
Fa che ogni goccia sia fatta memoria
Di tutto quanto cade e non risale
Che sia registro, libro mastro, archivio
Di chi resta sul fondo e sia fantasma
Ombra che si riflette in ogni muro
Che sia la colpa di chi senza colpa
Libero e salvo naviga sicuro.
Riccardo Held
Bemerkungen zur Komposition
Das Gedicht Dispersi in mare (Verschollen im Meer) des Venezianischen Poeten Riccardo Held gibt den
namenlosen und zahllosen Opfern der Flucht übers Mittelmeer eine unüberhörbare Stimme. Kein weinerliches
Lamento, kein Heischen um Mitleid, kein verzweifeltes Aufheulen, kein Appell an unser mitfühlendes Herz.
(Wie gerne würden wir uns von jeder Schuld an dieser Katastrophe, die sich täglich sozusagen vor unsern
Augen ereignet, freisprechen!)
„Eine urmächtige Angst“, so schreibt der Philosoph Peter Strasser
1, „uns im Kampf ums Überleben nicht
gegen die heranströmenden Massen der Elenden durchsetzen zu können, macht sich in unseren Herzen breit.
Während auf den Meeren, zusammengepfercht in schwankenden Booten, die der Last nicht standhalten,
Tausende und Abertausende ertrinken, Männer, Frauen, Kinder, tönen bei uns, die wir auf dem Trockenen
sitzen und hinausschauen auf die Todesstätten, die Propheten des Untergangs immer schriller: Jawohl, wir
werden untergehen, als Volk, als Staat, als Kultur, falls wir nicht jene untergehen lassen, die auf der
Flucht sind. Nein, nicht untergehen lassen (wir bleiben vorerst sprachlich noch ‚human’), aber
wegdrängen, abschieben, in meerumzäunten Konzentrationslagern bündeln, und zwar rasch und umfassend
....“
Anstatt dass in Anbetracht der von der Globalisierung angestoßenen gewaltigen Umwälzungen sich alle
intellektuelle (und auch künstlerische) Anstrengung darauf richten würde, die großen Errungenschaften
der Ideenwelt der Aufklärung und die wesentlichen Elemente unsere abendländischen Kultur einzubringen,
in so etwas, das den Namen Weltkultur zu recht verdiente, stochern die verbeamteten oder sonst wie
alimentierten Sachwalter*innen unserer Kultur (nicht nur jene der Politik, sondern auch die des
Geisteslebens und der Kunst) in den trüben Gewässern eines zynischen Nihilismus oder dümpeln auf den
modrig schimmernden Feuchtgebieten eines alle Farben spielenden Aberglaubens. Mit fest verbundenen Augen
und keineswegs nur mit Wachs verstopften Ohren navigieren sie dabei seelenruhig zwischen den tödlichen
Klippen eines neuen völkischen Nationalismus und den Nötigungen einer auf stetes Wachstum geeichten
Ökonomie dahin. Es ist offensichtlich, dass dies nicht gut gehen kann.
Das Gedicht: ein Stoßgebet, ein Bannfluch, ein wilder Aufschrei, eingebrannt ins Bewusstsein der
Überlebenden.
Und die Musik?
Ein Versuch, meinen eigenen Ängsten angesichts dieser Tragödie an den Grenzen Europas Raum zu geben.
Ein Versuch, daran zu erinnern, was uns durch die heraufziehende Barbarei einer alles beherrschenden
Technokratie der Sinnlichkeit droht verloren zu gehen, nämlich das menschliche Maß.
Ein Versuch, mit konkreten Zitaten und Verweisen dem mitdenkenden Hören Halt und dem musikalischen
Empfinden eine Richtung zu geben.
Aber auch –und nicht zuletzt: ein später Versuch, der verheerenden Ästhetik der Negation, die seit einem
halben Jahrhundert den Ton der Moderne diktiert, etwas entgegenzusetzen.
Wolfgang Florey
1 Peter Strasser in seinem Essay „Mein Abendland – Versuch über das unerreichbar Nahe“ Verlag Wilhelm
Fink, Paderborn, 2017